Mittwoch, 1. November 2017

"Unsere kleine Farm" - 2017-11-01

Heute ist Allerheiligen.

Als ich vor vielen Jahren das erste Mal in dieser Zeit hier war und in der Dunkelheit durch die Dörfer fuhr, wunderte ich mich. Überall gab es Gebiete, die hellerleuchtet waren und noch in weiter Ferne zu sehen waren. Ich wusste in der Nacht nicht so richtig etwas damit anzufangen und schob es auf einen Halloween-Brauch. Doch am nächsten Tag bemerkte ich meinen Irrtum. Die hellerleuchteten Gebiete waren die Friedhöfe. Die Ahnenverehrung in dem Ausmaß wie hier war mir fremd. In der Zeit vor dem ersten November ziehen die Familienangehörigen zu den Gräbern ihrer Verstorbenen und legen dort Blumen nieder. Die vielen Lebenslichter erhellen dann die Nacht. Es herrscht ein regelrechter Pilgerzug zu den Friedhöfen und nicht selten fahren die Menschen mehrere hundert Kilometer, um auf den Gräbern ihrer Ahnen Blumen niederzulegen, ein Lebenslicht anzuzünden und ihrer zu gedenken. Ich weiss nicht, ob es in Deutschland auch so stark ausgeprägt ist. Doch ich weiss, dass in meiner Familie keiner mit der gesamten Familie fünfhundert Kilometer weit fahren würde, um ein Grab zu besuchen. Ich habe dazu meine eigene Philosophie: lieber huldige ich jeden Tag meiner verstorbenen Lieben in meinen Gedanken und Tun, als an einer für mich doch anonymen Stelle Blumen nieder zu legen. Für mich etwas surreal. Aber der Tod hat sowieso etwas Surreales. Wie auch immer. Jeder soll nach seiner Facon glücklich werden und jedem sei sein Glaube, der im Halt und Sicherheit gibt.

Doch so sehr die Ungarn ihren Ahnen huldigen, so pragmatisch sind sie auf der anderen Seite. Ehrlich gesagt, an diesen Pragmatismus musste ich mich hier erst gewöhnen ...

... denn Feiertag, heisst freier Tag ... doch anders als in Deutschland, wo an einem Feiertag teils gespenstische Ruhe sich über die Orte legt, herrscht hier lebhaftes Treiben: dort eine Motorsäge, hier das Geräusch einer Bohrmaschine, an einem anderen Ort ist man fleißig dabei ein Haus abzureißen. Als ich in den ersten Jahren mal sagte, dass ich mich darüber wundere, daß am Feiertag die Motorsense oder der Rasenmäher läuft, bekam ich eine erstaunte Antwort: "Wann soll ich denn das sonst machen, wenn nicht an meinem freien Tag". - Recht hatte er! Längst habe ich mich daran gewöhnt, daß am Sonntag und Feiertag von irgendwoher Motorgeräusche erklingen und die Menschen in ihren Gärten werkeln. Auch muss ich gestehen, daß ich dies reichlich entspannt finde und mich inzwischen darüber wundere, wieso in Deutschland die Menschen sich selber so viele eigene Grenzen auferlegen.


Copyright Julietta Günther

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