Mittwoch, 1. März 2023

Das kleine Mädchen "Ich trau mich nicht"



In einem kleinen Dorf irgendwo auf der Welt lebt ein kleines Mädchen namens Anne. Sie ist ein liebes Kind und jeder mag sie gerne. Oft ist sie mit ihren Schulkameraden unterwegs. Aber sie hat ein grosses Problem. Wenn ihre Freunde, sie mitnehmen wollen, um im Wald nach Walderdbeeren zu suchen, dann sagt Anne : "geht ohne mich, ich trau mich nicht". Ab und zu gehen sie über die Brücke zum Bauern. Dort besuchen sie die kleinen Kätzchen und holen frische Milch. Die Kinder lieben es, wenn sie aus dem Deckel ihrer Milchkanne, die noch kuhwarme Milch trinken können. Doch an der Brücke bleibt Anne stehen: "geht ohne mich, ich trau mich nicht".  Dann eines Tages im Herbst haben ihre Freunde mit ihren Pappa's Drachen gebastelt. Anne's Papa hat einen ganz besonderen  Drachen gebaut. Er ist achteckig und hellgrün, wie Anne Lieblingsfarbe. Er einen hat ganz langen Schwanz mit vielen bunten Schleifen. Als die Freunde sie abholen und Drachensteigen lassen wollen, sagt sie nur "geht ohne mich, ich trau mich nicht". So geht das tagein tagaus, ob beim Radfahren, Schaukeln, Rollschuhlaufen und vieles mehr. Anne sagt immer immer nur "geht ohne ich, ich trau mich nicht". Manchmal wenn sie keiner sieht, dann weint sie leise vor sich hin. Wie gerne wurde sie gerne auf dem Rad ihre Haare im Wind flattern lassen, doch sie traut sich nicht. Warum, das weiss keiner. Im Dorf nennt sie mittlerweile jeder nur "Ich trau mich nicht".

Eines Tages ging "Ich trau mich nicht" mit ihrer Mutter spazieren. Ganz in ihrer Nähe ist ein Wildgehege mit Wildschweinen und Rehen. Mama hat ihr erzählt, dass es dort kleine Rehkitze und Wildschweinferkel gibt. Die wollten sie anschauen gehen. "Ich trau mich nicht" hat die letzten Tage deshalb extra Eicheln gesammelt. Die lieben die Rehe und die Wildschweine. An Mamas Hand gingen sie dort hin. Es hatte die letzten Tage geregnet und der Weg war rutschig. Mit einem Mal glitt Mama aus und fiel hin. Da sie "Ich trau mich nicht" an den Hand hielt, fiel auch die hin. Beide lagen in einem Berg voller Laub. "Ich trau mich nicht" ist nichts passiert ist, da sie ganz weich auf Mama Bauch gelandet war. Aber Mama lag mit verdrehtem Fuss am Boden. Der Fuss tat ihr ganz doll weh und Mama konnte nicht aufstehen. "Ich trau mich nicht" wurde ganz bang, als sie ihre geliebte Mama so liegen sah. Ehe ihre Mama etwas sagen konnte, rannte "Ich trau mich nicht" davon und rief "ich hole Hilfe !". - Und weg war sie. Die Mama bliebt alleine zurück.

"Ich trau mich nicht " rannte so schnell sie konnte. Sie lief durch den dunklen Wald, einen Weg entlang. Vorbei an den abgeernteten Maisfeldern. Als Abkürzung nahm sie den Weg über die Wiesen und kam an den kleinen Bach. Sie wollte hinüber springen, doch beim ersten Mal gelang es ihr nicht und sie rutschte aus. Beim zweiten Mal, nahm sie noch mehr Anlauf und sie flog förmlich über den gluckernden Bach unter ihr. Sie rannte weiter über die Felder, über die kleine wackelige Brücke und kam bald danach an den Rand des Dorfes. Dort stand eine Telefonzelle. Mama hatte ihr schon ganz früh erklärt, was sie tun muss, wenn sie einmal Hilfe holen musste. Sie war damals noch keine zwei Jahre alt, aber sie erinnerte sich heute noch ganz genau. Doch sie war zu klein und kam nicht an den Hörer. So sehr sie es auch versuchte, es wollte einfach nicht gelingen. Sie war schon ganz verzweifelt, als eine Frau des Weges kam und sie fragte, ob sie ihr helfen könne. Nun erzählte ihr "Ich trau mich nicht", was geschehen war. Die Frau rief für sie die Rettung an und bald danach kam ein Krankenwagen. "Ich trau mich nicht" setzte sich auf den Sitz neben dem Fahrer und erklärte ihm, wo er hinfahren musste. Bald waren sie bei der Mama. Der Sanitäter machte Mama einen Verband und gab ihr eine Spritze gegen die Schmerzen. Dann wurde Mama in den Krankenwagen gehoben und sie fuhren mit ihr ins Krankenhaus. "Ich trau mich nicht" durfte mitfahren. Nach einer Untersuchung stellten die Ärzte fest, dass Mama sich nur den Fuss verstaucht hat. Das tut zwar sehr weh, aber es war nicht so schlimm. Mama bekam einen neuen Verband und durfte nach Hause. Dort allerdings musste sie sich ein paar Tage ausruhen. Weil Mama nun im Haushalt nichts machen konnte, kam ihre Oma helfen.

Die Oma schaute erst Mama an, dann "Ich trau mich nicht" und dann wieder Mama. Sie sagte zur Mama "wie mutig doch unsere Kleine ist !"  Mama meinte, "ja, sie ist wirklich sehr mutig und wir sind mächtig stolz auf sie". Da erst merkte "Ich trau mich nicht", was sie getan hatte: sie war ganz alleine durch den dunklen Wald gerannt, über die Wiesen und die Brücke, sogar über den Bach ist sie gesprungen. Manches muss man einfach nur einen ersten Schritt tun und sich trauen. Sie hatte aber noch etwas anderes gelernt: wenn sie einmal selber nicht weiter weiss, dann gibt es sicher jemanden, den sie fragen kann und der ihr hilft.

Was glaubt ihr, wenn ihr jetzt auf dem Spielplatz jauchzen seht? Wer auf der Schaukel in den Himmel fliegt? Wer sich den Wind beim Radfahren durch die Haare wehen lässt? Stimmt! -

Es ist eine glückliche, lachende Anne, die nun längst nicht mehr "Ich trau mich nicht" heisst.



copyright Julietta Günther


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