Dienstag, 24. Januar 2023

Tante Mo und ihr kleiner grauer Mitbewohner

Tante Mo lebt in einem winzigen verwunschenem Haus an einem kleinen See. Es ist ein rotes Backsteinhaus mit grünen Fensterläden. An einer Seite rankt sich grüner Wein empor. Ein schmaler geschwungener Weg führt zu dem Häuschen durch einen wunderschönen Bauerngarten. Dort wachsen allerlei Gemüse zwischen Tagetes, Lupinen, Jungfern im Grün, Cosmea, Bartnelken und vielen mehr. Sie verströmen einen Duft, der an Sommer und Paradies erinnert. Auch ein paar Sonnenblumen erheben sich über dem unterschiedlichen Grün der Gemüsepflanzen, das in Formen nicht verschiedener sein könnte. Da tanzen die filigrane Stengel der Karotten zusammen mit den lanzenförmigen Blättern der Schwarzwurzeln im Sommerwind. Neben den  knackigen Blätter des jungen Weisskohls stehen die langen Lanzen der Zwiebeln und des Knoblauches. Die runden Blätter der Radieschen schmiegen sich an den Salat. Im Hintergrund ranken die Bohnen an Stangen empor, die mit ihren zierlichen roten Blüten wunderschön anzusehen sind. Am Rand des Weges wachsen Kräuter, hier Lavendel, dort Zitronenmelisse, auch findet man Majoran, Rosmarin, Petersilie, Minze, Ysop, Oregano, sowie Thymian und Basilikum in verschiedenen Geschmacksrichtungen. Sobald man daran vorbei geht und die Kräuter streift, erfüllt ihr Aroma die Luft. Neben dem Haus steht ein grosser Lindenbaum, der im Juni mit seinem Blütenduft jeden betört. Auf dem Hof tummelt sich das Federvieh, im Gras liegt Tante Mo's Mischlingshund Tornado in der Sonne und lässt sie sich auf den Pelz brennen, die dreifarbige Katze Minou beobachtet von ihrem Aussichtspunkt auf dem Baum das Treiben. Auf dem See ziehen ein paar Enten ihre Bahnen. Ins Häuschen gelangt man durch einen Rosenbogen mit unzähligen roten, rosafarbenen und gelben Blüten, die wild durcheinander wachsen und schon alleine durch ihre Farbmischung ein kleines Stilleben sind. Tante Mo lebt in ihrem selbst geschaffenen Paradies.

Sobald man ins Haus eintritt, ist man direkt in der grossen Wohnküche. Das Häuschen ist gemütlich mit viel Holz eingerichtet und erinnert ein wenig an die Blockhütten aus den Winnetou Filmen. Es steht ein grosser, quadratischer, schwerer Holztisch mit vier Stühlen vor dem Fenster. Wenn man dort sitzt, hat man einen wunderschönen Blick in den Garten, über die Felder auf die entfernten Hügel. Tante Mo hat für die Fenster rotkarierte Gardinen genäht und auf der Fensterbank stehen kleine Blumentöpfe mit Usambaraveilchen in den unterschiedlichsten Farben. Tante Mo liebt Usambaraveilchen und immer wenn sie bei Freunden ein neues Exemplar sieht, bittet sie sie um ein Blatt, dass sie dann zu Hause in die Erde steckt. Sie freut sich jedes Mal riesig, wenn dieses Blatt Wurzeln bekommt und kleine neue Blätter hervorspriessen. Tante  Mo kocht und backt für ihr Leben gerne und so hat sie auch sehr viel Sorgfalt beim Einrichten ihrer Küche eingesetzt. Ganz besonders stolz ist sie darauf, dass sie einen alten, mit Rosen handbemalten Holzherd ergattern konnte. Das ist ihr ganz besonderes Schmuckstück in ihrem Küchenreich. Darauf zaubert sie die tollsten Gerichte und die Kuchen und Brote daraus, sind einfach ein Gedicht. Wenn Tante Mo abends aus ihrem Garten ins Haus kommt, macht sie sich ein feines  Abendessen und setzt sich an ihren Tisch. Neben ihr liegt ihr Hundchen und die Katze hat ihren Lieblingsplatz neben dem Ofen eingenommen.

Tanto Mo macht es sich abends oft an ihrem Esstisch gemütlich. Sie bekommt selten Besuch. Ihr Sohn ist längst erwachsen und lebt weit weg in der grossen Stadt. Ihr geliebter Mann, hat sie schon lange verlassen. Eines Tages sitzt sie, wie immer, alleine vor ihrem Abendessen und sie wird wie so oft ganz traurig darüber. Ihre Gedanken führen sie zurück und erinnern sie an die schönen, glücklichen Jahre mit ihrem Mann, bevor eine Krankheit ihn ihr nahm. Sie stützt ihr Gesicht in ihre Hände und weint leise ein wenig vor sich hin. Mit einem Mal streichelt etwas ganz sanft über ihr Gesicht und als sie aufschaut, blickt sie verwundert in zwei kleine schwarze Knopfaugen. Tante Mo glaubt ihren Augen nicht zu trauen, schliesst schnell die Augen und macht sie dann ganz langsam wieder auf. Nein, sie hat sich nicht getäuscht und sie träumt auch nicht. Vor ihr auf dem Tisch steht mit einem leuchtenden Schein eine kleine graue Maus, die sie ganz freundlich anschaut und ihr weiter ganz sanft die Tränen von der Wange wischt. Mit einem Mal sagt die Maus:" Du musst nicht traurig sein. Ab jetzt bist Du nicht mehr alleine. Ich bin jetzt bei Dir und werde Dir Gesellschaft leisten, wann immer Du es wünschst. Du kannst mir alles erzählen und ich werde Dir von der grossen weiten Welt und den Menschen berichten"

Und so geschah es.... Abends setzte sich die kleine graue Maus vor Tante Mo's Teller und sie erzählten sich, was sie den Tag über so erlebten. Tante Mo sprach von ihren Sorgen, liess die kleine Maus an ihren Freuden teilhaben, erzählte von ihren Träumen und besprach mit ihr ihre Pläne. Die kleine Maus fesselte Tante Mo mit Geschichten aus Tausend und einer Nacht, aus den Weizen Sibiriens, von dem Höhen des Himalajas und des ewigen Eises Grönlands. Sie entführte Tante Mo in ihre Welt voller Abenteuer und brachte sie immer wieder mit den komischsten Anekdoten zum Lachen. Und falls Tante Mo sich doch einmal einsam fühlte und traurig wurde, dann strich die kleine graue Maus ganz sanft über ihre Wange und Tante Mo vergass sofort, wieso sie betrübt war. Da Tante Mo von nun an immer einen glücklichen und zufriedenen Eindruck machte und vorallem so herzhaft lachen konnte, kamen die Leute aus dem Dorf nun immer öfter zu ihr. Sie erzählten Tante Mo von ihren Kindern und Enkelkindern, manchmal auch von ihren Sorgen. Doch jeder, so bedrückt er auch zu Tante Mo kam, ging nach seinem Besuch beschwingt und mit einem Lächeln nach Hause. Und Tante Mo ? Tante Mo setzte sich jeden Abend zu ihrem kleinen grauen Mitbewohner und gemeinsam liessen sie den Tag Revue passieren.

copyright Julietta Guenther

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