Sonntag, 22. Januar 2023

Rabea - ein Mädchen wie der Frühling


In einer sternklaren Nacht sitzt ein junges Mädchen auf einer Bank am Ufer eines kleinen Sees. Von der gegenüber liegenden Seite klingt Musik und Lachen herüber. Der Platz dort ist umrahmt von bunten Lampignons, die in der dunklen Nacht leuchten. Die Leute feiern das diesjährige Frühlingsfest. Es ist ein lustiges Treiben und auf dem See dümpelt ein Kahn mit einem Liebespaar vor sich hin. Rabea beobachtet die Szenerie, denkt über die letzten Tage und den heutigen Abend nach. Sie ist traurig.

Gestern sass sie an der gleichen Stelle und freute sich auf den heutigen Abend. Doch wie das Leben so oft spielt, kommt es oft anders als man denkt. Rabea ist ein wunderschönes, zartgliedriges Mädchen mit langem, blonden und leicht gewellten Haar. Sie hat eine helle Haut, strahlende grüne Augen und macht ihrem Namen alle Ehre. Ihr Name kommt aus dem Hebräischen und bedeutet Mädchen. Im Arabischen steht  Rabea für Frühling. Und so ist Rabea auch, ein junges Mädchen frisch wie der Frühling.

Der heutige Tag begann mit einem ausgiebigen Frühstück, das Rabea mit ihrer Mutter einnahm. Rabea hatte Urlaub und die beiden Frauen genossen, das gemeinsame Frühstück. Sie plauderten angeregt und erzählten sich einige Anekdoten. Ihr helles, fröhliches Lachen klangt durch den Garten. Nachdem Frühstück half sie ihrer Mutter im Garten. Es war ein sonniger, angenehmer warmer Tag. Sie pflanzten etliche duftende Primeln, einige bunte Stiefmütterchen und in die Lücken zwischen den Sträuchern setzten sie noch ein paar Tulpen und Narzissen. Binnen kürzester Zeit zog ein Hauch von Frühling in den Garten ein. Einige Vögel sind bereits von ihrem Winterquartier zurück und zwitschern noch etwas verhalten vor sich hin. Die ersten Bienen sind auch schon bei der Arbeit.  Rabea und ihre Mutter setzten sich nach getaner Arbeit an die kleine weiße, gußeiserne Sitzgruppe, die im Schatten einer großen Linde steht. Rabea liebt es dort zu sitzen, ganz besonders wenn die Linde blüht und ihr süßer unvergleichlicher Duft die Luft erfüllt. Die beiden Frauen saßen schweigenden bei ihrem Tee und ließen die friedliche Stimmung im Garten auf sich wirken.

Irgendwann wurde es Zeit, daß Rabea sich für den Abend richtete. Sie wollte heute besonders schön sein für Jens, ihren Freund. Die beiden wollten heute abend zum Frühlingsfest zum Tanzen gehen. Rabea wusch sich ihr langes Haar und fönte es sorgsam im Form. Dann zog sie sich an. Für den heutigen Abend zog sie ihr Lieblingskleid mit der engen Korsage und dem ausgestellten Tellerrock an, der sich so herrlich beim Tanz dreht. Das Kleid harmoniert ganz wunderbar mit ihrem blonden Haar und den grünen Augen. Für einen kleinen Augenblick fühlte sich Rabea wie eine Prinzessin. Sie war glücklich. Ungeduldig wartete sie auf Jens und als es an der Tür klingelte, flog sie förmlich die Treppe hinunter. Sie öffnete die Tür und ließ Jens ein. Jens ist ein gutaussehende junger Mann. Die beiden waren ein hübsches Paar. Als Jens eintrat, war er seltsam zurückhaltend und wich ihren Blicken aus. Irgend etwas war heute anders und Rabea wurde es bang um's Herz. Sie gingen ins Wohnzimmer und nach einer halben Ewigkeit der stummen, lähmende Stille, begann Jens zu reden. Erst stockend und dann immer mutiger. Die Worte rauschten an Rabea vorbei und drangen wie aus einer weiten Entfernung ganz dumpf in ihr Bewusstsein. Jens redete und redete. Irgendwie hatte Rabea das Gefühl, sie säße im falschen Film und der Mann mit dem sie jahrelang zusammen lebte, war durch einen Doppelgänger ausgetauscht worden, der so gar nichts mit ihrem geliebten Jens gemein hatte. Erst als Rabea hörte, wie die Haustür leise ins Schloß fiel, wachte Rabea aus ihrer Erstarrung und es breitete sich erst Entsetzen, dann Fassungslosigkeit und schließlich eine grenzenlose Traurigkeit in ihr aus.

Jens war fort - für immer. Er  hatte sich in eine andere Frau verliebt und nun waren all ihre gemeinsamen Jahre zur Geschichte geworden. Rabea verstand die Welt nicht mehr.

Sie saß noch eine Weile regungslos im Wohnzimmer, dann stand sie auf und ging mir schweren, schleppenden Schritten nach draußen. Langsam ging sie hinunter zum See und setzte sich in der sternklaren Nacht auf eine Bank am Ufer des Sees. Auf der anderen Seite sind die Menschen in Feierlaune und Rabea beobachtet das Treiben, das ihr so unwirklich vorkommt, wie so alles an diesem Abend.

Die kommenden Tage sitzt das Mädchen oft am See. Manchmal weint sie leise vor sich hin. Längst schon ist das Funkeln aus ihren Augen verschwunden, ihr Haar ist glanzlos und sie selbst ist nur noch ein Schatten ihrer Selbst. Jens war ihre große Liebe und Rabea leidet entsetzlich unter der Trennung. Manchmal hat sie das Gefühl, das Herz würde in ihrer Brust zerspringen. Oft aber möchte sie nur noch schreien. Sie ist so unsagbar traurig. Rabea ist still geworden, kein Lachen kommt aus ihrer Kehle. Sie hört auch die Vögel nicht mehr singen und sieht nicht die Frühlingsblumen blühen. Mechanisch geht sie ihrer Arbeit nach, nimmt die Mahlzeiten ohne jegliches Gefühl zu sich. In ihr ist alles erstarrt.

Eines Tages viele Monate später, es ist wieder eine sternklare Nacht. Rabea sitzt wieder auf der Bank am See. Man erkennt Rabea nicht wieder. Nichts ist mehr übrig von dem wunderschönen Mädchen aus der Frühlingsnacht von einst. Sie ist mager geworden und es umgibt sie eine Aura der Hoffnungslosigkeit. So sitzt sie wieder auf der Bank, ohne ihre Umgebung wirklich wahrzunehmen. Plötzlich durchzuckt ein Blitz den Himmel, eine Sternschnuppe fällt vom Himmel und trifft sie mitten ins Herz. Rabea erwacht wie aus einem tiefen Schlaf und ihr wird ganz warm ums Herz. Mit dem Strahl der Sternschnuppe erwachte ihr Lebenswille wieder zu neuem Leben und Rabea schaut sich erstaunt um. In der Dunkelheit der Nacht erkennt sie die Umrisse der blühenden Rosensträucher mit ihrem atemberaubenden Duft. Irgendwo singt leise eine Nachtigall und krächzt eine Käuzchen. Sie weiss nicht, was passiert ist, doch sie weiss sicher, dass nun für sie ein neues Lebens beginnt. Ein Leben voller Freude, Lachen - ein Leben, das auch ohne Jens lebenswert ist - und sie freut sich darauf ...


copyright Julietta Günther





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