Dienstag, 24. Januar 2023

In der Stille der Nacht



Langsam senkt sich die Nacht über die Stadt. Die Strassenlaternen sind längst an und im fahlen Licht des vergehenden Tages eilen die Leute nach Hause. Im Treppenhaus eines fünfstöckigen, im viktorianischen Stil erbauten Hauses ist es still, doch aus dem Wohnungen dringen verhalten die Geräusche aus den Wohnungen. Stock für Stock gehen wir hinunter an den Wohnungstüren vorbei. Aus einer hört man leise Beatmusik, hinter einer anderen ist es mucksmäuschen still, dann führt der Weg vorbei an Kinderlachen, aber auch eine Etage tiefer an lautstarkem Ehekrach. So ein Treppenhaus ist Zeuge vieler Dramen, Freuden und weis von dem Wechsel der Zeit.

Unten im ersten Stock geht die Tür auf und heraus tritt das Fräulein Maier. Tagsüber ist sie halbtags als Buchhalterin in einer grossen Firma beschäftigt. Sie ist eine scheue, leicht verhuschte graue Maus, die abends in ihr anderes Leben schlüpft. Wer nichts von ihrem zweiten Leben weis, erkennt sie nun nicht wieder. Sie tritt forsch aus ihrer Wohnungtür und macht sich eilig auf den Weg in ihrem viel zu kurzem Röckchen, den hochhackigen Stiefel und der blonden Lockenperücke. Eine Weile noch bleibt der Duft ihres billigen Parfüms in der Luft hängen.

Wir folgen ihr auf die Strasse und sind gleich Teil eines regen Treibens. Auto an Auto schiebt sich der Verkehr durch die Stadt. Im Scheinwerferlicht erkennen wir die Silhouetten der Insassen, flüchtige Schatten ohne Gesicht. Auf den Bürgersteigen eilen die Menschen vorbei: manche kommen müde und erschöpft von der Arbeit nach Hause, einige treffen sich mit Freunden in der nahgelegenen Pizzeria, andere haben sich in grosser Abendgarderobe geworfen, die ahnen lässt, dass etwas Außergewöhnliches auf den abendlichen Plan steht. Es ist ein stetiges Kommen und Gehen, dass einen schwindelig werden lässt, würden wir an einem Platz statisch stehen bleiben und das Treiben beobachten. Wir reihen uns in die Ströme der Menschen ein, sehen in manchmal ausdruckslose Gesichter, spüren den Schmerz in manchen Herzen und hören das befreiende Lachen einiger junger Leute. Unser Weg führt uns vorbei an hellerleuchteten Restaurants, einer stadtbekannten Imbissbude, an der Trauben von Menschen sich ihr schnelles Abendbrot in Form einer Currywurst einverleiben. Wir treffen auf den Tross der Hundebesitzer, die mit ihren Vierbeiner noch schnell eine Runde um den Block gehen, bevor auch für sie der Feierabend beginnt. Doch wir sehen auch die traurige Kehrseite einer Stadt, die für gescheiterte Existenzen nur ein Heim auf der Strasse hat. Es sind ältere, oft hochgebildete Männer und ein paar Jugendliche, fast noch Kinder, die wir unter einer Unterführung treffen. Sie suchen dort Schutz vor der Nacht und dem leicht eingesetzten Sprühregen. Eine Weile verweilen wir dort, hören ihren Geschichten zu, fühlen uns hilflos ihnen nicht helfen zu können, laufen schnell in den noch offenen Supermarkt und kommen mit einer Tüte voll Lebensmittel und natürlich auch ein paar Dosen Hundefutter zurück. Es leben viele Hunde mit ihren Besitzern auf der Strasse, die liebevoll von ihren Besitzern behandelt werden. Die Tierliebe der vorbei eilenden  Passanten ist oft größer als die Menschenliebe und so bekommen die Hunde der Strasse öfter einmal einen Leckerbissen, während ihr Herrchen oder Frauchen mit knurrendem Magen daneben steht. Seltsame Welt !

Wir verlassen die Gruppe unter der Brücke, mit ihren eigenen Gesetzen und Regeln und setzen unseren Weg fort. Der Regen hat wieder aufgehört, doch er hat die Menschen von den Strassen vertrieben und so wird es langsam still in der Stadt. Richtig still wird es jedoch nicht wirklich. Ein ständiges dumpfes Brummen ist das dauernde Grundgeräusch einer Metropole, hin und wieder hört man ein Martinshorn in der Ferne und die letzte Straßenbahn  biegt quietschend in ihre Endhaltestelle. Sie spuckt ihre letzten Fahrgäste des Tages aus, die sich auf ihren Heimweg machen: Frau Heinmann kommt von ihrer Nachtschicht und eilt nach Hause. Ein verliebtes Pärchen läuft weltversunken den Weg entlang, um alle paar Meter stehen zu bleiben und sich innig zu küssen. Sie sind in ihrer eigenen Welt und bemerken nicht einmal die Gruppe leicht alkoholisierter Jugendlicher, die lautstark an ihnen vorbei gehen und einige Zotten über sie reissen. Dann sind alle Passanten verschwunden und es bleibt das stetige Brummen der Stadt, die Scheinwerferlichter der nun spärlich vorbeifahrenden Autos spiegeln sich im regennassen Asphalt der Strasse.

Der Weg führt uns in den Stadtpark. Hier tauchen wir in eine andere Welt. Von den Bäumen fallen uns Wassertropfen des Regens in den Nacken, die Blätter rascheln leise im Wind und die Luft in schwer vom Duft der nassen Erde. Hier hat die Nacht tausend Augen, die manchmal im Licht der vorbeifahrenden Autos aufblinken. Es sind die Katzen, Marder und auch ein streunender Hund auf ihrem nächtlichen Beutezug. Ganz in der Nähe hören wir ein Käuzchen und auch das Singen einer Nachtigall klingt von Ferne her. Längst schon haben die Tiere des Waldes den Weg in die Stadt gefunden und nicht unweit auf der grossen Wiese können wir im schwachen Licht der Nacht ein paar Rehe erkennen. Ein Fuchs kreuzt ohne Scheu unseren Weg, schaut uns kurz an, ganz so als wolle er sagen "was sucht denn ihr hier mitten in der Nacht?" Von irgendwo her hören wir auch das Grunzen der Wildschweinrotte, die seit kurzem sich im Stadtpark angesiedelt hat.

Auf einem nunmehr verlassenen Spielplatz setzen wir uns, zum Schutz vor dem erneuten sanften Regen, in einer Hütte. Ein Spielplatz, der auch tagsüber eher von zwielichtigen Gestalten und Hunden besucht wird, als dass friedlich spielende Kinder dort fröhlich die Rutschen und Schaukeln benutzen. Wir hängen unserer Gedanken nach und lassen unseren Blick im fahlen Licht der Parkbeleuchtung über die grosse Spielwiese schweifen. Es ist ein schöner alter Park, der wohl in der wilhelminischen Zeit angelagt worden war. Die Wiese säumen grosse staatliche alte Bäume, die an heißen Sommertagen wohltuend Schatten spenden. Am Rand des Parkes sehen wir das Planetarium, dass einen spannende Einblicke in die Weiten des Universum gewährt. Wir erinnern uns an unseren ersten Planetariumsbesuch,  Wir waren gerade erst ins Teenageralter gekommen, noch nicht ausgewachsen, die Beine waren zu kurz und so hatten wir Mühe, die Kippsessel in der Schräge zu halten. Immer wieder kippte uns der Stuhl in die Senkrechte. Irgendwann lagen wir mehr auf der Sitzfläche als dass wir sassen, doch die recht unbequemen Haltung ermöglichte uns, nach oben an die Decke des Planetariums und somit in den projektzierten Sternenhimmel zu schauen.

Erinnerungen kommen, Erinnerungen gehen ... - in der Stille der Nacht ...


Copyright Julietta Günther

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