Sonntag, 11. Februar 2018

Ski heil!

Lang, lang ist es her. Ich, gerade einmal achtzehn Jahre jung, ging noch zur Schule, auf ein technisches Gymnasium. Damals war es eher eine Ausnahme, daß ein Mädchen auf eine technisch orientierte Schule ging. So waren wir im ganzen Jahrgang nur drei Mädels unter achtundsechzig junge Männer. In der Zeit lernte ich, daß es auch Herren der Schöpfung gibt, die einfach kein Händchen für handwerkliche Arbeiten und Technik haben. Wir hatten in der Jahrgangsstufe zwei solche Kandidaten, bei denen man auf Abstand gehen musste, wenn sie in der Werkstatt an der Drehmaschine oder Bohrmaschine arbeiteten. Nicht nur einmal flog der Drehfutterschlüssel durch das offenen Fenster auf die Strasse, weil der eine wieder einmal vergessen hatte, ihn aus dem Futter zu nehmen, bevor er die Drehmaschine anstellte. Dann wieder einmal krachte es gewaltig, weil der andere bei der Fräsmaschine zu tief eingestellt hat und bei dem Fräskopf  die Zacken abgeschlagen hat. Es flogen regelmäßig die Schlagstempel durch die Gegend, etliche Werkzeuge wurden ausgeglüht, X-mal schafften sie es die Sicherungen zum Schlappmachen zu bewegen usw.

- also Alles in Allem technisch desorientierte .Chaoten!

Es stand unsere Schullandheim-Fahrt an. Es ging nach St. Anton ins Arnthal. Das kannte ich recht gut, da ich dort schon einmal während meiner Realschulzeit war. Doch dieses Mal ging es ins Skischullandheim. Später habe ich mir oft Gedanken darüber gemacht, wie meine Eltern diese Schullandheimaufenthalte überhaupt haben finanzieren können, zumal ich noch einen Bruder hatte, der ebenfalls ins Schullandheim fuhr.

Ich konnte schon einigermaßen Skifahren. Für unsere beiden Spezialisten war es Neuland, das sie uns dann auch mehrfach bewiesen. Nie werde ich vergessen, daß einer einen quietschgelben Skianzug trug, während der andere in grasgrün daher kam. Nicht daß die Farben gerade modern waren, die Skianzüge waren vermutlich beim Skiverleih nicht ausgeliehen worden. Es erwies sich als Wink des Schicksal, daß beide in Leuchtfarben unterwegs waren.

Grasgrün war ein schmächtiger, knapp ein Meter sechzig großer junger Mann. Gelb gerade das Gegenteil. Er war von großgewachsener kräftiger, stämmiger Gestalt.

Wir gingen den ersten Tag auf die Piste und mitten unter uns zwei, die noch nie im Leben auf Skier standen, geschweige denn einen Skilift benutzt hatten. Und damit begann das Abenteuer für uns Alle!

Erstaunlicherweise kam Gelb recht gut mit dem Einstieg in den Anker-Schlepplift klar. Doch er war alleine, weil sein Nachbar den Anschluss verpasst hatte. Bei der ersten Steigung passierte es dann! Der Anker rutschte weg! Gelb schaffte es noch, ihn festzuhalten und so hing er am Anker - wie ein nasser Sack! Sein Allerwertester schliff dabei über dem Boden, während er in der Hocke sitzend den Anker krampfhaft festhielt. Wir anderen standen unten, ob der Komik dieser Situation und des Bildes, das er abgab, lachten wir Tränen. Gelb kam tatsächlich oben an - mit schneeweißem Hinterteil, was uns erst Recht in Gelächter ausbrechen ließ.

Nun kam Grasgrün an der Reihe. Dessen Nachbar schaffte es nicht nur Grasgrün auf den Anker zu setzen, sondern selber Platz zu nehmen. So fuhren die beiden los. Es ging einen steilen Hohlweg hinauf. Rechts ging es eine gute vier Meter tiefe Böschung in den Wald hinunter, links dafür drei Meter hinauf. Platz war nur für den Lift und seine zwei Skifahrer am Anker. Auf halber Höhe des Teilhanges geschah es: Grasgrün kam ins Rudern, schmiss dabei seinen Nachbarn aus dem Anker, der rechts den Abhang hinab rutschte und einige Meter tiefer im Wald im Tiefschnee fluchend zu stehen kam. Grasgrün hielt sich noch ein paar Meter, dann kam eine Bodenwelle und er ließ den Anker los. Was dann geschah war Slapstick reif: Er rutschte auf seinen Skier rückwärts die Liftspur hinunter, dabei räumte er die nachfolgenden Anker ab. Als der Liftführer reagierte und den Schlepplift anhielt, lagen mindestens zwanzig Skifahrer entweder rechter Hand unten im Wald oder klebten links an der Böschung. Nur wenigen war es gelungen, in der Liftspur zum Stehen zu kommen. Es dauerte fast zehn Minuten bis sich die Situation geklärt hatte, die Skifahrer die Liftspur abfuhren, ihre verlorenen Skier eingesammelt hatten, Grasgrün wieder zur Liftstation zurück gebracht wurde. Danach sah die Liftspur aus als wäre der Yeti mit seinen Füßen hinunter gestampft.

So nun neuer Versuch: Grasgrün an den Anker. Ihn nahm ein erfahrener Skifahrer unter die Fittiche und sie kamen oben ohne besondere Vorkommnisse an. Bei dem nächsten Versuch, den Grasgrün eigenständig vornahm, kam es zur nächsten kuriosen Aktion. Am Ende des Schleppliftes stand eine Rampe aus Holz, so eine Rampe wie sie heute Skateborder für ihre Kunststücke verwenden. Grasgrün liftete alleine, kam oben an und fuhr die Rampe hinauf - da blieb er stehen! Genau auf der Kante! Die Skienden hingen sowohl vorne als auch hinten in der Luft. Jetzt stand er da, kippelte hin und her. Wir hielten den Atem an und hofften, daß er nicht die vier Meter von der Rampehinunter fiel. Alle Skifahrer, die nach ihm aus dem Lift stiegen, versuchten sich schnell in Sicherheit zu bringen. Unten an der Rampe hatten sich bereits Trauben von Schaulustigen gebildet. Wie bringt man einen Skifahrer von der Rampe, der oben kantig balanciert?!? Die Rampe war so steil, daß wir nicht hinauf konnten, um ihn dort herunter zu holen.

Irgendwann schaffte er es bei seinem Balanceaktion die Hocke zu kommen. Wir hielten den Atem an. Er konnte sich festhalten und rutschte auf dem Bauch die Rampe hinunter.

Nun konnte es an die Abfahrt gehen. Wir hatten uns darauf geeinigt, daß wir in Gruppen bleiben, Gelb und Grasgrün unter unsere Fittiche nehmen, die besseren Skifahrer fuhren eine überschaubare Etappe und die anderen folgten. Nun erwies es sich als sehr hilfreif, daß Grasgrün und Gelb weithin zu sehen waren. Beide hatten unterschiedliche Fahrstile:

Gelb rutschte im Pflug langsam den Hang hinunter, doch er hatte den Dreh noch nicht raus, um richtig zu steuern oder zu halten. So rutschte er schon mal in eine Gruppe stehender Skifahrer und holte die von den Skiern. Glücklicher Weise nahm es ihm niemand übel und nach seiner zweiten Abfahrt, gingen ihm alle aus dem Weg.

Grasgrün hingegen hatte einen Kamikaze-Stil. Er fuhr nahezu Schluss den Berg hinab, dabei fuhr er mal auf den rechten, mal auf dem linken und hin und wieder auf beiden Skiern. Dabei wedelte er mit den Skistöcken wie ein Kolibri mit den Flügeln. Es machte ergo Sinn, ihm möglichst aus dem Weg zu gehen. Wenn er in die Nähe unserer Gruppe kam, musste jemand ihn auffangen, sonst wäre er glatt weiter gefahren. Ein Wunder, daß er sich dabei nicht die Ohren gebrochen hat. Nach seiner zweiten Abfahrt, hörte man, sobald er in Sichtweite kam "Vorsicht er kommt!"

Bei einer weiteren Abfahrt, standen wir am Pistenrand. Gelb war bereits angekommen, wir warteten noch auf Grasgrün. Als auch er zu unserer Gruppe aufgeschlossen hatten, wollten wir weiter fahren. Dann bemerkten wir, daß Gelb nicht mehr bei unserer Gruppe stand. Wir rätselten, ob er bereits abgefahren sei, doch keiner hätte es bemerkt. Nur per Zufall drehte sich einer um und erblickte Gelb. Dieser lag einige Meter tiefer auf dem Rücken liegend im Tiefschnee. Seine Skier steckten rechts und links im Schnee und wie eine Schildkröte auf dem Panzer liegend, versuchte er sich aus der misslichen Lage zu befreien. Was aber alleine schier unmöglich war. Wir also alle unsere Ski ab geschnallt, den Hang runter gerutscht und ihn mit vereinten Kräften aus dem Schnee gezogen. Wir waren ganz schön durchgeschwitzt bis wir ihn wieder oben auf der Piste hatten.

Die kommenden Tage gewannen die Beiden mehr Übung, es klappte immer besser. Allerdings hatte  Gelb am vierten Tag bereits das zweite Paar Leihski zu Kleinholz verarbeitet.

Am fünften Tag fuhren die beiden einen Holzweg hinunter, Grasgrün voran und Gelb hinterher. Grasgrün stürzte und saß am Boden als Gelb nicht mehr bremsen konnte und in ihn hinein fuhr. Auch er stürzte, dabei rutschte er mit seiner rechten Pobacke über die Skikanten ... Resultat:einen zehn Zentimeter langer, tiefer Schnitt, der im Krankenhaus genäht werden musste - und das dritte Paar Leihski im Eimer. Gelb konnte daraufhin nur auf dem Bauch schlafen, im Stehen sein Essen einnehmen und musste sich unsere Frotzeleien anhören.

An dem Abend gingen einige von unseren Klassenkameraden ins Dorf. Offensichtlich hatten sie einen Einkehrschwung in die Dorfkneipe gemacht. Als sie zur Sperrstunde noch nicht wieder zurück waren, machten sich ein paar Lehrer auf die Suche nach ihnen. Die Lehrer kamen mit einer angetrunkenen Gruppe grölender Schüler im Schlepp zurück, Man waren die sauer!

Es kehrte Ruhe ein. Wir Mädels hatten unser Zimmer im zweiten Stock, ganz hinten am Ende des Ganges. Morgens kam gegen sieben immer ein Lehrer zum Wecken, dabei stürmte er immer ohne Anzuklopfen ins Zimmer. Wir hatten es uns somit zur Gewohnheit gemacht, erst aufzustehen, wenn er wieder draußen war. Als am kommenden Morgen um halb neun noch immer niemand zum Wecken gekommen war, im ganzen Haus hingegen reges Treiben herrschte und ein ständiges Auf und Ab zu hören war, krochen wir aus unseren Betten. Eine Mitschülerin zog sich schnell etwas über und ging nach dem Rechten schauen. Als sie zurück kam, gluckste sie vor Lachen und erzählte uns, was es mit dem Radau auf sich hatte.

Als unserer Mitschüler im Stock unter uns aus dem Bett stiegen, standen sie zehn Zentimeter tief im Wasser. Diejenigen, die in der Etage darunter schliefen, tropfte das Wasser von der Decke ins Gesicht. Im Treppenhaus lief das Wasser wie Kaskaden die Stufen hinunter und hatte bereits den Keller überflutet. Wir Mädels wurden wieder zurück in unser Zimmer gescheucht, während unserer Mitschüler zum Wasser schleppen und Putzen heran gezogen wurden. Der Anfangsverdacht eines Rohrbruches klärte sich schnell auf. Ursache des Wassereinfalles? Das war so simpel, wie auch äußerst unglückliche Umstände.

Bei der Zechtour unserer Mitschüler muss einer wohl zu viel zu tief ins Glas geschaut haben. In der Nacht war er aufgestanden, hat gereihert, wollte mit seinem benebelten Kopf die bespuckte Toilette reinigen. Das verwendete WC-Papier steckte er in das Toilettenbecken. Doch die Spülung war hängengeblieben und es lief weiter Wasser nach ... und überschwemmte so zwei Stockwerke nebst Keller und sorgte für unerwartete Duschen von der Decke.

Die restlichen drei Tage des Skischulandheim-Aufenthaltes hatten wir Stubenarrest und Ausgangssperre. Vermutlich haben die Lehrer drei Kreuze gemacht, als wir zu Hause wieder aus dem Bus stiegen. Ich denke, diese Schullandheimfahrt wird ihnen ewig in Erinnerung geblieben sein.


Copyright Julietta Günther







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