Freitag, 1. Dezember 2017

Eines Nachts

Ein wunderschöner sonniger Tag und eine Einladung zu einer Geburtstagsfeier, herrliche Unterhaltung im Kreis von Freunden, Stunden voller Kurzweile, guter Gespräche und viel Lachen. - Gegen dreiundzwanzig Uhr machten mein Sohn und ich uns auf den Heimweh. Mit einem Lächeln im Gesicht fuhr ich durch die dunkle Nacht auf der fast leeren Autobahn und ließ meinen Gedanken freien Lauf. Mein Sohn war auf dem Beifahrersitz eingeschlafen. Kurz bevor ich die vorletzte Ausfahrt passierte, bog ein Streifenwagen mit Blaulicht auf die Autobahn. Ich fuhr die autoleere Autobahn entlang, die Schilder zeigten bereits unsere Ausfahrt an als ich am Horizont Blinklichter in allen Farben sah: blaue, gelbe, weiße und rote. Mir schwante nichts Gutes und ich musste Recht behalten. Wissend um die nächste Ausfahrt, fuhr ich geradewegs auf die Sperrung der Autobahn zu, ohne eine Chance die Strasse verlassen zu können. Nun stand ich da und vor mir tat sich im Licht meiner Scheinwerfer eine gespenstische Szene auf: ein weißes Auto stand quer auf der Autobahn, überall waren Blinklichter und zwischendurch huschten dunkle Gestalten durch die Szenerie. Während ich versuchte herauszubekommen, was da vor mir geschah, rannte eine Gestalt auf unser Auto zu und - ich hörte Schüsse und sah Mündungsfeuer. Instinktiv verriegelte ich das Auto. Erst als ich sah, daß es ein Polizist war, entspannte ich mich ein wenig. Der Ordnungshüter rief mir zu "Bleiben sie im Auto! Und lassen Sie das Licht an!" - "Ob der wohl glaubte, daß ich mich in die Schußbahn werfen will?" schoss mir durch den Kopf und sagte ihm "aber sicher doch!" Durch das Gespräch war mein Sohn aufgewacht und verschlafen wollte er wissen, was los sei. ... Gute Frage!?! -

Wir duckten uns immer tiefer in die Autositze und ich lugte nur zur Vorsicht etwas über das Armaturenbrett. Um uns herum schossen mehrere Gestalten, die durch die Nacht rannten. Eine surrealle Szenerie. Mir schossen die schlimmsten Befürchtungen durch den Kopf und ich schickte Stoßgebete gen Himmel, daß wir dies heil überstehen. Irgendwann gesellte sich neben uns ein anderes Auto. Vermutlich war danach die Autobahn hinter uns gesperrt worden, denn es folgte kein weiteres Fahrzeug nach. Nachdem das zweite Auto ebenfalls die Fahrbahn vor uns beleuchtete, konnte ich etwas mehr erkennen: der weiße Wagen hatte einen eingedrückten Kotflügel und war vermutlich nicht mehr fahrbereit. Hinter und davor standen weitere Autos kreuz und quer, normale Personenwagen, Polizeiautos und Krankenwagen, sowie noch weitere für mich nicht klassifierbare Fahrzeuge mit den unterschiedlichsten Blicklichtern. Personen rannten über die Bahn und schossen scheinbar wahllos in die Nacht. Irgendwann sah ich, was der Grund dieses Spektakels war: ein Wildschweineber rannte zwischen den Autos umher. Polizisten versuchten mit ihren kleinen Pistolen das Tier zu erlegen, Der Eber war wohl schon mehrfach getroffen, in Panik drehte er sich um und machte nun seinerseits Jagd auf die Schützen. Nun rannten die Polizisten vor dem Tier her. Einem kam das Wildschwein bedenklich nahe, als dieser sich mit einem Sprung über die Motorhaube des weissen Autos erstmals ins Sicherheit brachte. Die Situation war so absurd, daß ich einfach lachen musste.

Wir saßen in den Auto, inzwischen standen wir bereits eineinhalb Stunden und beobachteten das spezielle Movie. Meine Blase drohte zu platzen und ich wusste schon garnicht mehr, wie ich es mir noch verkneifen sollte. Wieder kam ein Polizist auf unser Auto zu und fragte, ob alles in Ordnung sei. Ich meinte, im Prinzip schon, aber ich müsste dringend für "kleine Königstiger" - Der Polizist sah sich suchend um, meinte "kommen Sie" und geleitete mich mit der Pistole schussbereit im Anschlag zum Straßengraben. Ich erleichterte meine Blase, währenddessen keine zwei Meter der Schütze angestrengt über die Felder in die schwarze Nacht sah. Noch mit offener, halb heruntergelassener Hose hechtet ich wieder ins Auto. Männer haben es da doch einfacher, denn selbst im Auto war es garnicht so einfach sich wieder komplett anzuziehen.

Das Licht meines altersschwachen B-Kadett durfte ich jetzt ausschalten. Doch nun standen wir in völliger Dunkelheit und langsam stieg die Müdigkeit in mir auf. Mein Sohn war inzwischen wieder eingeschlafen, unbeeindruckt dessen, dass noch immer Schüsse durch die dunkle Nacht hallten. Es war halb zwei in der Nacht als der Spuk ein Ende fand und die Polizei die Fahrt wieder frei gab.

Der Wagen neben mir setzte sich in Bewegung und - mein Auto gab keinen Ton mehr von sich! Na Klasse, die Batterie war leer! -  Der nächste Polizist, der nun ans Auto kam, war nicht mehr so freundlich, sondern schnauzte mich an, warum ich denn nicht losfuhr, Als ich ihm sagte, dass meine Batterie schlapp gemacht hat und ich ihn um Starthilfe bat, bekam ich als Antwort, dass ich auf den Abschleppwagen warten musste. Sie schoben mein Auto an den Straßenrand. Da kam erst Recht Freude bei mir auf: Hundemüde und als alleinerziehende Mutter nicht gerate mit voller Geldbörse gesegnet, harrte ich auf die Dinge, die da kommen würde, während in mir die Gehirnwindungen ratterten und rechneten.

Eine gefühlte Ewigkeit später kam der Abschlepper. Der weiße Wagen wurde die Rampe hochgezogen und ich wurde hinten angehängt. Wir fuhren an dem Ort des Geschehens vorbei. Am Fahrbahnrand sah ich die tote Rotte liegen: vier ausgewachsene Wildschweine und fünf Ferkel. Sinnigerweise fuhr der Abschleppwagen in entgegengesetzter Richtung zu meiner Fahrtrichtung. Irgendwann sprang mein Wagen an, ich wurde abgehängt. Nach einem kleinen Ovolus konnte ich meine Heimfahrt fortsetzen. Morgens um halbvier kamen wir hundemüde (zummindestens ich) zu Hause an.


Copyright Julietta Günther


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