Sonntag, 24. Dezember 2017

Wet Chrismas

In grauer Vorzeit, wir lebten in einer Dreizimmerwohnung zusammen mit unseren noch kleinen Kindern. Damals fiel Heiligabend auf einen Samstag.

Die ganze Woche hatten wir gearbeitet und so blieb mir leider nichts anderes übrig, als am Samstagmorgen noch schnell einkaufen zu gehen. Ich schnappte mir meine Jungs und stürzte mich ins Einkaufsgetümmel. Wer dachte, daß Heiligabend Morgen die Geschäfte leer sind, der täuscht sich ... Lange Schlangen bildeten sich an den Kassen und auf den Parkplätzen herrschte Gedränge. Total gestresst war ich froh als ich mich endlich auf den Heimweg machen konnte.

Zu Hause angekommen, verfrachtete ich meine Buben ins Kinderzimmer. Mein damaliger Ehemann war wie immer am Heiligabend abgängig. Was soviel bedeutete, daß er grundsätzlich am Heiligabend Morgen seine Weihnachtsgeschenke einkaufen ging. Wie er es allerdings immer schaffte, Stunden nach Geschäftsschluss und wenn bei mir die meistens Fest-Vorbereitungen abgeschlossen waren, nach Hause zu kommen, das war und blieb für mich ein Rätsel.

Ich begann meine Einkäufe auszuladen und als ich in die Küche kam, stand ich im Wasser! Ich befürchtete erst ein Rohrbruch oder ähnliches. Verfrachtete die Lebensmittel auf den Esstisch und begab mich auf Ursachenforschung. Dann traf mich fast der Schlag. Irgendwie hatten wir es geschafft, versehentlich die Gefrierschrank-Kombi auszuschalten und somit zum Abtauen anzuregen. Das Wasser stand nicht nur in der Gefriere und in der Küche, sondern auch in dem darunter befindlichen Kühlschrank. Die darin bereits vorrätigen Lebensmittel, standen ebenfalls im Wasser und die Packungen waren durchweicht. Jetzt hieß es erst einmal, Kühlschrank und Gefriere wieder trocken zu legen. Geschlagene zwei Stunden vergingen, bis ich das Chaos in den Griff bekam und meine Einkäufe endlich verräumen konnte.

Nun wurde der Zeitplan eng. Inzwischen war es bereits Mittag geworden. Sinniger Weise hatte ich an dem Tag auch noch die schwäbische Kehrwoche und musste das Treppenhaus putzen. Das durfte nur am Samstag sein. Ich schnell den Besen geschwungen, die Treppe gefegt (möglichst geräuschvoll, damit jeder im Haus mitbekam, daß ich wirklich der Kehrwochenpflicht nachkomme und ich mir keinen Beschwerdebrief der Verwaltung einhandelte). - Geschafft!

Ich zurück in die Wohnung, die Wohnungstür geschlossen und rückwärts in den vollen Wischeimer getreten, der daraufhin umkippte und das Wischwasser sich in den Flur ergoss. Dort lag ein verklebter Nadelfliesteppich. Unmengen von Handtücher geholt und versucht das Wasser aufzusaugen. Meine Kinder fanden das "Panschen im Flur" cool. - Ich weniger!

Um drei Uhr nachmittags, mein Ex war noch immer nicht aufgetaucht, war der Baum noch nicht geschmückt und die Gans nicht im Rohr. Letzteres erledigte sich auf überraschende Weise. Als ich irgendwann wieder in die Küche kam, wunderte ich mich, was unter der Eckbank in der Ecke lag: eine angefressene Gans! Nachbars kleine Miezekatze war durch die offene Terrassentür in die Wohnung geschlüpft und hatte sich an der Gans, die doppelt so groß wie sie selber war, gütlich getan. Das war's mit der Weihnachtsgans! Langsam war mit eh alles schnurz und es breitete sich eine Art Galgenhumor in mir aus.

Mit meinen Kindern machte ich mich ans Schmücken des Baumes. Ich fand das immer sehr schön und schmunzeln betrachtete ich, was die Kinder so alles an den Baum hangen: aus Tropfkratzern gebastelte Enten, Tannenzapfenwichteln, die Ostereier aus dem Kindergarten durften auch nicht fehlen, eine kleine Affenfigur und irgendwo baumelte zwischen den Weihnachtskugeln auch ein Matchbox Auto. Kindgerechter Weihnachtsbaum! Die Jungs fanden den stark. Insbesondere weil er damals das Lametta in ihrer Wahlfarbe trug: oben helllila, in der Mitte in mittellila und unten in dunkelviolett. Als mein Mann gegen achtzehn Uhr endlich auftauchte, war der Baum fertig und er verdrehte die Augen. Dann kam der Kommentar, den ich wohl mein ganzes Leben nicht vergessen werde: "Erst habe ich nur eine emanzipierte Frau, nun auch noch einen emanzipierten Weihnachtsbaum!" :-)

Es gab ein improvisierten Weihnachtsessen. Wir hatten gerade mit dem Essen begonnen, als mein Jüngster ein Glas um stieß. Alles schwamm! Bevor ans Weiteressen zu denken war, musste alles wieder trocken gelegt werden.  Als wir fertig waren griff mein Ex über den Tisch und dabei stieß ein großes Saftglas um. Der Saft ergoss sich über den Tisch. Wieder mussten wir den Tisch zur Hälfte abräumen. In mir breitete sich stoische Ruhe aus, denn schlimmer konnte es wohl nicht mehr kommen! - Doch weit gefehlt! ...

Gegen zwanzig Uhr konnten wir endlich mit der Bescherung beginnen. Die Kinder rissen ihre ersten Geschenke auf und ich hätte meinem Ex am liebsten sein Weihnachtsgeschenk an mich, über den Kopf gehauen: eine Pfanne - mit Deckel wohlgemerkt (was er stolz wie Harry anmerkte und mein innerliches Brodeln noch mehr verstärkte). Ich stand kurz vorm Ausbruch. Da drehte er sich um und mit seinem Allerwertesten kam er in den Baum. Dieser begann sich zu neigen und wie in Zeitlupe fiel er um. Ich hatte an dem Chaostag vergessen ihn anzubinden. Nach einer Schrecksekunde kam Hektik auf. Der deckengroße Weihnachtsbaum war in all seiner Pracht, mit Kugeln und Lametta auf die Kinder gefallen. Die langen nun darunter und begannen erschreckt zu weinen. Also wir schnell die Buben darunter hervorgezogen und in Sicherheit gebracht. Den Baum wieder aufgerichtet. Um uns herum herrschte ein wildes Chaos aus abgebrochene Zweigen, zerbrochene Kugeln, verstreutes Lametta, zerdrückte Kinderbasteleien und verstörte, weinenden Jungs. Aber nicht nur das! Der Baum stand in einem Baumständer der voll Wasser war und das breitete sich nun im Wohnzimmer und auf dem Teppich aus. Wieder war wischen angesagt, das Lametta und die Kugelreste klebten auf dem nassen Parkett, dazwischen schluchzten die Kinder und trauerten um ihren einst so schön geschmückten Baum. Irgendwann beruhigte sich die Situation. Mit Wischmob, Eimer und den letzten trockenen Handtüchern wurde trockengelegt. Während auf der anderen Seite, der Staubsauger die Kugelsplitter aus den Sofakissen und der Couch sog.

Endlich gegen zweiundzwanzig Uhr konnten wir mit der Bescherung weitermachen. Den Kinder fielen inzwischen schon langsam die Augen zu und sie konnten sich nicht mehr richtig an ihren Geschenken erfreuen. Gemäß "Vom Winde verweht": "Das verschieben wir auf morgen".

Als die Kinder im Bett lagen und bereits im Reich der Träume waren, sammelten wir die letzten Reste des Baumbruches zusammen, setzten uns mit einem Glas Wein auf die Couch und ließen es Revue passieren: Unser Wet Chrismas!


Copyright Julietta Günther

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