Dienstag, 15. November 2022

Dachschaden

Wir wohnten in einem kleinen Häuschen idyllisch an einem Feuerlöschteich gelegen. 

Im Sommer liefen meine Jungs mit Badehose aus der Haustür, um wenig später im See zu plantschen. Im Winter hörte man hingegen dass metallische Klacken der Schlittschuhe auf dem Asphalt. Schlittschuhlaufen, Eishockey und Curling stand dann auf dem Programm.

Auf dem Hausdach stand ein grosser Verteilermast von dem aus die Stromkabel für die Nachbarhäuser abgingen. Hinter dem Haus stieg das Gelände an. 

Kurz hinter der Bruchkante zum Hang hin, stand eine riesige Eiche, fast schon streifte sie den Strommasten beim Verteilerkasten.  Sie neigte sich im Laufe der Jahre immer mehr. Je nach dem, gehörte der Baum mal zur Gemeinde, mal mir.

Ich befand mich just auf Auslandreise, als mein Sohn, damals gerade einmal achtzehn Jahre alt, mich völlig aufgelöst, fast schon hysterisch anrief.

"Mama, es ist was Schlimmes passiert" sagte er mit einer fast tonlosen Stimme, die immer wieder von Schluchsen unterbrochen wurde. 

Welcher Mutter sackt da nicht das Herz in die Magengrube und  der Atem bleibt stehen. In Bruchteil von Sekunden tauchen einem vor dem inneren Auge die schlimmsten Szenarien auf. Ich fragte beklommen, ob seinem Bruder etwas passiert sein. Erleichert hörte ich das beiden nichts passiert ist. Mein Jüngster unterdessen schluchste weiter, immer wieder unterbrochen mit einem "was soll denn jetzt machen?"  Es brauchte geraume Zeit bis ich meinen Spross einigermassen beruhigt hatte. 

Endlich schaffte er mir zu sagen, was geschehen war. Er sagte mir, dass die riesige Eiche in unser Dach gekracht war und den Kabelbaum mitgerissen hat. Dann fing er wieder an zu schniefen; sein ganzes Zimmer sei kaputt, auch die Deko die er an die Wand gemalt, einfach alles. Jetzt hätte es auch noch angefangen zu regnen, meinte er.

Nachdem ich wusste, dass meinen Buben nichts geschehen ist, hatte mein Verstand wieder eingesetzt. Doch mein Hirn ratterte, "verflixt, was macht man denn in so einer Situation?"

Das erste war, dass ich meinen Sohn verbot, in sein Zimmer zu gehen, bzw nicht in den ersten Stock. Ich wusste ja nicht was der Kabelbaum angerichtet hatte und ob der noch unter Strom stand. So fiel mir zuerst die Feuerwehr an. Keine Ahnung, ob die hilft. Aber Strom, Wasser und zerdeppertes Dach ... 

Zwischendrin bekam mein Sohn wieder hysterische Anfälle. Irgendwann hatte ich ihn soweit, dass er die Feuerwehr anrufen soll. Ich würde gleich wieder anrufen. Ok, sie kämen. 

Also gut, das war der erste Schritt. Doch was nun? Mehrere Gedanken schossen mir durch den Kopf. Ich im Ausland, Jungs brauchten eine Ersatzbleibe, kein Geld für Dachreparatur usw.

Mein Sohn sollte mich anrufen, wenn die Feuerwehr da gewesen sei. Ich wartete, wartete und sass wie auf Kohlen. Irgendwann klingte endlich das Telefon. Die Feuerwehr hätte den Baum zersägt und eine Folie aufs Dach gezogen, aber der Strom sei weg. 

Zwischendrin jammerte Junior wieder über den Zustand seines Zimmers, was alles kaputt sei und wer jetzt die ganzen Äste aus dem Raum räumt. (Manchmal hat man in Krisensituationen schon seltsame Gedanken, dachte ich mir dabei)

Dann bat ich ihn den Ordner von der Versicherung herauszuholen und dort anzurufen.

Nun denn, das Ganze zog sich über Stunden hin, während ich nebenbei noch meine Besprechung mit einem unserer Hauptkunden abzuhalten hatte.

Als ich endlich meinen Sohn nach der Versicherung fragen konnte, fing der hysterisch an zu lachen und kriegte sich überhaupt nicht mehr ein. Vermutete dass ihm die Nerven durchgegangen waren. Je mehr ich ihn versuchte zu beruhigen, desto mehr lachte er. Ich war nur hunderte Kilometer entfernt, um ihn mit einer Ohrfeige aus seinem Lachanfall zu holen. Irgendwann beruhigte er sich und dann kam ganz trocken:

"April, April! Mama, du glaubst auch allen Scheiss!" ...

... 

Da hatte mein Jüngster Glück, dass er so weit weg war. Ich war einerseits heilfroh, dass das wieder einmal nur einer der berüchtigten Vorstellungen meines Sohnes war. Andererseits hätte ich ihn am liebsten zum Mond geschossen...

Es gibt wohl kein Familienmitglied, der ihm nicht schon einmal auf den Leim gegangen ist. Mein Junge konnte über Stunden hinweg eine solch überzeugende Rolle spielen ohne dass auch nur ein Grinsen ihn verraten hätte.


Copyright Julietta Günther


2 Kommentare:

  1. Antworten
    1. Wohl wahr - wenn man oft auch Nerven wie Drahtseile braucht und der Schutzengel Überstunden machen muss😉

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