Mittwoch, 21. Oktober 2015

"Unsere kleine Farm" - 2015-10-21

Noch immer warte ich darauf, dass dieses für Oktober typische Dauerregen aufhört.
Ich hasse die Regenzeit !!! Alles verwandelt sich in Rutschbahnen. Ich selber sehe nach dem Füttern aus als hätte ich ein Schlammbad genommen. Die Schafe, an einem Tag  noch schneeweiß, sind in der Farbgebung nicht mehr von unseren Wollschweinen, den Mangalica, zu unterscheiden. Nicht nur die Hunde tragen uns den Dreck ins Haus und ich komme mit dem Wischen garnicht mehr nach. Sch...wetter eben! -

Was mich aber am meisten fuchst ist das, dass ich mit der Ernte nicht weiter komme. Draußen hängen auf mehr als 100 Bäumen noch die Äpfel und warten darauf eingelagert zu werden. Partiell sind die Bäume bereits abgeerntet, doch zum Einlagern müssen die Äpfel trocken sein. Langsam werden auch die Quitten reif und rund herum sind die Sträucher voll mit Hagebutten, Weißdorn und Schlehen. Mich juckt es nur so, mit mein Küchenspezialitätensortiment weiter auszubauen, die dann in den Verkauf kommen. Mein Spezialessig Sortiment hat bereits einen nicht unerheblichen Umfang angenommen und mein Männe fragt mich dauernd was ich denn mit dem ganzen Essig will. Männer! Verkaufen, was sonst und natürlich für die eigenen Küche. Ehrlich gesagt, ich habe die Geduld meines Männes dieses  Jahr auch reichlich strapaziert. Erst schwelgte ich in Bärlauch, besonders der Senf ist wirklich lecker geworden. Es folgten Kirschen, Aprikosen, Birnen, Rosen, Wildkräuter, Pilze etc.pp. - ständig war die Küche ein Schauplatz des Chaoses aus Einmachgläsern, Flaschen, Obststeigen und Kochdampf - insbesondere, wenn er früher heim kam. Upps ! Männe suchte dann nur noch das Weite und fluchte, wenn es darum ging, die Einkochergebnisse ins Lager zu verbringen.

Nun denn mit den über 150 Kilo Tomaten, die ich verarbeitet habe, habe ich dann wohl wirklich den Vogel abgeschossen. (Obwohl ich den mir  inne wohnen Vogel pflege und hege. Denn ohne meinen Vogel wäre ich nicht die, die ich bin ;-) - aber wie auch auch immer, ich hätte ja gerne noch mehr Ketchup gemacht, doch leider ging mir die Zeit aus und so musste ich entscheiden zwischen Tomaten, Tieren und Bügelwäsche !?! - was glaubt ihr, wer den Vorzug bekommen hat? Die Tiere ? nein - dies Mal war es die Bügelwäsche. Wird schließlich Zeit, wenn die Schränke zusehends leerer und der Bügelwäschekorb hingegen voller wird. Es ist ja nicht so, dass ich "keine Zeit" habe, sondern wie heisst es so schön  "Wer keine Zeit hat, der setzt seine Prioritäten nur anders" - Meine Priorität : Tomaten kontra ... - nur wenn für dem Männe zu wenig Zeit bleibt, dann läuft etwas gründlich falsch in der Planung und erst recht, wenn man sich eines Tages fragt, wer ist denn der Mann neben mir in meinem Bett ? (na ja, das kann natürlich auch andere Ursachen haben ;-) ) - Aber zum Glück schaffte ich diesen Spagat bislang relativ gut - glaube ich wenigstens ;-) - es wäre auch schade, wenn es anders wäre, denn mein Männe ist wirklich ein Schatz.

A propo Schatz: seitdem ich in Ungarn lebe, wundere ich mich immer wieder über die Texte, der ungarischen Lieder und ziehe Vergleiche zu unserem deutschen Liedgut. Hier gibt es unzählige Lieder, die der Mutter, der Familie und vorallem der Ehefrau und der Liebe zu ihr gewidmet sind. Das mit der EHEFRAU hat mich dann doch erstaunt. Ich kenne ehrlich gesagt kein Lied aus Deutschland, in der die Wertschätzung der Ehefrau besungen wird. - Andere Kultur eben ! -

Von wegen der anderen Kultur, die ersten Jahre als ich hier wohnte, hatte ich ziemliche Probleme. Nicht mit den Ungarn ! Sondern mit mir und meiner Einstellung zum Leben ! Die Ungarn waren rührend und extrem hilfsbereit. Als ich her kam sprach ich kein Wort Ungarisch . Das war zwar in der Arbeit weniger ein Problem, weil ich dort meine Übersetzer hatte (obwohl es auch dort immer wichtiger wurde, spätestens als ich bemerkte, dass die Freiheit der Übersetzung doch manchmal zu weit ging - wie bei der "Reise nach Jerusalem" - am Ende hat das was hinten heraus kommt, auch nichts mehr gemein, was ursprünglich gesagt wurde). Im täglichen Leben meisterten die Ungarn meistens meine Sprachprobleme: wie "Du verstehst uns nicht ?"- "Du warten" -"Kein Problem" - "Wir holen jemand, der spricht Deutsch" - und wirklich irgendwo aus dem Ort oder der Nachbarschaft oder am Telefon, wurde irgendjemand organisiert, der als Übersetzer fungieren konnte. War richtig süss!!! Insbesondere, wenn wieder einmal eine Hausfrau aus der Küche  beim Nudelnmachen geholt wurde und sie mit der bemehlten Küchenschürze im Amt erschien ;-) - Ich traf überall auf Hilfsbereitschaft und die Leute um mich herum gaben sich unsagbar viele Mühe, dass ich mich recht schnell dazu gehörig fühlte. Ich bin aber auch sehr dankbar, für die grosse Toleranz, die man mir, als Ausländerin und ihre Eigenheiten hier entgegen gebracht hat. Klar wird man als Fremde erst einmal beäugt und manche wahren Distanz, doch ich kam schnell dahinter, dass das oft auch Unsicherheit war. Die Ungarn wussten nicht, wie sie mit mir umgehend sollten. Das legte sich schnell, als ich auf die Leute zugingen und als ich die ersten Worte Ungarisch sprach, ging das wie ein Lauffeuer durch die Lande. Insbesonders als ich zum ersten Mal auf Ungarisch fluchte ;-))) Die Ungarn zogen mich lachend damit auf und versuchten sich ihrerseits mit deutschen Schimpfwörtern. Beiden Seiten war aufgrund der ungewöhnlichen Aussprache eine Erheiterung sicher ;-)) (versucht bloss einmal das Wort "Scheisse" mit einem langgezogenen "i" und zwei stimmhaften "s" in der Mitte auszusprechen, dann wisst ihr was ich meine)  ;-)
Schimpfwörter sind nach "Danke" -"Bitte" und "Guten Tag" wohl das erste, das man in einer Fremdsprache beherrschen sollte, das schafft schnell Akzeptanz - zumindest ist das meine Erfahrung auch aus anderen Ländern ...

Aber zurück zu meinen wirklichen Problemen bei meiner Eingliederung hier: es war meine deutsche Einstellung. Ich kam mit über 40 Jahren Erfahrung mit deutscher Genauigkeit, Regeln und Vorschriften im Kopf hierher und traf auf ungarischer Flexibilität in Problemlösung, einem ungewohnten Laisse faire und kreativer Planlosigkeit. Wenn ich in der Firma von Qualität sprach, dann schaute man mich mit grossen Augen an. Vermutlich dachte auch so manch einer "die Deutsche, die spinnt - es geht doch auch so" - Aussprüche, wie "der Kunde soll doch froh sein, wenn er die Weihachtsware zu Ostern bekommt, dieses Jahr gibt es ja auch ein Weihnachten" machten mich rasend. In der Firma kostete es mich unsagbare Kraft, Nerven und gut zwei Jahre Einsatz, den Begriff "Qualitätssicherung" zum Leben zu erwecken. Es ist nicht so, dass dies hier kein Thema ist, doch aus der Historie heraus haben viele Menschen das nie gelernt. Planwirtschaft ist eben etwas anderes als Marktwirtschaft im globalen Wettbewerb. Doch auch privat kam ich oft an meine Grenzen und raufte mir die Haare, bekam die Krise, wenn etwas zusammen gebaut wurde und unterschiedliche Schrauben und sogar Nägel dazu verwendet wurden. Welcher Deutsche würde nicht einen Anfall bekommen, wenn der neue Schrank in Folge zu weniger Schrauben im Paket, zusammen genagelt wird  und als Anwort bekommt, "wieso der Schrank steht doch" ??? - Eben !!! -

Doch nach circa zwei Jahren ging mir der sogenannte Kronleuchter auf : entweder ich lerne, mit der ungarischen Mentalität zu leben oder ich werde hier nie heimisch! - was folgte, war ein verdammt harter Weg. Ich musste lernen, öfters mal den Ball flach zu halten und den Dingen seinen Lauf  zu lassen. Je mehr ich lernte, die deutsche Mentalität etwas zurück zu nehmen, desto mehr gewann ich an Lockerheit. Ich regte mich immer weniger auf und stellte im Laufe der Zeit fest, dass es schlichtweg unnötig ist, dass alles  100%-ig sein muss. Es geht auch anders ! Und zwar viel entspannter! Heute wundere ich mich oft, worüber sich deutsche Landsleute in Deutschland, aber auch hier aufregen und frage mich, warum regen die sich überhaupt auf ?

- Ich habe aber noch etwas sehr Wichtiges hier gelernt:

Es ist nicht nötig, sich über ungelegte Eier, sprich der Zukunft, zu viele Gedanken zu machen. Es kommt eh meistens anders als man geplant hat. Noch weniger macht es Sinn, über die Vergangenheit zu lamentiere und an womöglich negative Erfahrungen festzuhalten. Der Ungar sagt dazu ganz schlicht " azt dobta ki a gép" - was soviel heisst wie " das hat der Automat für mich ausgeworfen".  - Die Ungarn, die ich kenne, leben im Hier und Jetzt und reagieren auf das was kommt mit einem, für mich oft lakonischen "Es muss sein".

Seitdem ich dies gelernt habe, habe ich eine nie erfahren Freiheit kennengelernt. - (na ja, das Deutsche kommt immer mal wieder durch und dann muss mich mein Männe wieder erden. Insbesonders als ich nach sechs Monaten Deutschlandaufenthalt wieder nach Hause kam, meinte er: "Entspann Dich, Du bist seitdem Du zurück bist, so verbissen.") - Recht hatte er.

Ich will nicht polarisieren, ein Land gut, andere Land schlecht. Jedes Land hat seine Vor- und Nachteile. Wichtig ist nur, wie wir unser Leben für uns und unsere Lieben gestalten. Auch ist der Weg, den ich ging nicht jedermanns Sache. Doch ich bin glücklich und vorallem zufrieden hier.

- copyright Julietta Guenther -

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